„Wir müssen erst mal viel investieren, um genügsam sein zu können“. Felix Weisbrich leitet das Straßen- und Grünflächenamt des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg. Und genau diesen Job hat er sich auch ausgesucht, um bei der Transformation des öffentlichen Raumes mitzuwirken. Über das Mobilitätsgesetz in Berlin gibt es einen Auftrag zur Veränderung. Politik hat also geliefert, nun setzt Verwaltung um.

Einen Teil davon sehen wir hier direkt vor uns. Wir stehen an der belebten Bergmannstraße, Ecke Zossener Straße an der Markthalle und blicken auf einen zweigeteilten Radweg, Platz für Fußgänger, Blumenkästen, Stühle und Haltebuchten für Lieferverkehr. Nächster Schritt ist dann eine teilweise Entsiegelung, um der Begrünung Bodenanschluss zu gewähren.

Schrittweise, teils auch temporäre Veränderungen, die schnell erlebbar sind und bei denen noch Pfadkorrekturen vorgenommen werden können, das ist für Weisbrich ein wichtiger Erfolgsfaktor, um unsere Städte umzubauen. Das hält er für viel zielführender und mit weniger Konflikten umsetzbar als jahrelange Planung, die mit großer Verzögerung umgesetzt wird. Das Ziel? Es gibt mehrere: laut Weisbrich sind viele Straßen schlecht genutzt. Sie sind weder sicher noch effizient, nicht funktional, auch nicht im Sinne einer Autologik. Außerdem natürlich die Nachhaltigkeit, wir brauchen mehr Grün in den Städten, das uns vor sommerlicher Hitze schützt. Und dann gibt es da natürlich noch die gerechtere Flächenverteilung – denn bisher verbrauchen das Drittel der Wege, die mit dem PKW gefahren werden, zwei Drittel der Fläche.

Foto von einer radfahrenden Person, im Hg. sieht man ein Tempo 10-Schild
Foto: Carina Zell-Ziegler (CC BY-SA 3.0 DE)

Bei den wenigen gestaltbaren Flächen in der Stadt sollte der Potenzialraum Straße so genutzt werden, dass er nicht nur Mobilität ermöglicht, sondern auch Raumqualität schafft. Die geltende Straßenverkehrsordnung ist hierfür nicht besonders hilfreich, da sie nur den “Verkehrsfluss” als Ziel hat und somit jede Maßnahme zur Verkehrsberuhigung angreifbar ist und über Sicherheit begründet werden muss. Raumqualität, Gesundheit und Klimaschutz als mindestens gleichrangige Ziele zu verankern, würde vielen Kommunen ihre Arbeit erleichtern. Bei der derzeitigen Haushaltslage bedarf es Haltung und Kreativität laut Weisbrich, aber ohne Substanz und Ressourcen gehe es eben auch nicht, „denn vor uns steht eine gigantische Infrastrukturaufgabe“.

Seit einem Jahr gibt es im Straßen- und Grünflächenamt Friedrichshain-Kreuzberg den Fachbereich Öffentlicher Raum. Allein, dass es diesen neuen Fachbereich gibt, macht neue Prioritäten deutlich. Neu ist an diesem Fachbereich auch eine eigens für Beteiligung und Öffentlichkeitsarbeit geschaffene Stelle. Lena Oßwald ist dort zuständig u.a. für Konzeption und Koordination von Beteiligungsverfahren. Für sie geht es darum, die Nutzer*innen-Perspektive in die Planung einzubeziehen. Aber nicht in langjährigen Beteiligungsprozessen, die dann doch als Parade der Partikularinteressen daherkommt, sondern auf konkreterer Umsetzungsebene.

Wenn das politische Ziel klar ist, dass die Straße verkehrsberuhigt wird, ein baulich getrennter Fahrradweg errichtet wird – dann kann das Expert*innenwissen vor Ort bei der Umsetzung und Ausgestaltung helfen. Die Aushandlung der konkreten Konflikte all der Ziele findet dann vor Ort statt. Dabei muss transparent sein, worüber beteiligt wird. Beschwert sich jemand, dass er/sie dann ja mit seinem/ihrem Auto nicht mehr vor der Haustür parken kann, so antwortet Weisbrich, dass es ja darum geht, das Verhalten, das andere stark einschränkt, unangenehmer wird. Das gilt übrigens für alle Mobilitätsformen, auch wenn man als Fahrradfahrer*in erst einmal stutzt, wenn in der Bergmannstraße nur 10 km/h gefahren werden darf– die Verkehrsberuhigung gilt für alle.

Auch für die Beteiligung ist das schrittweise und oft temporäre Vorgehen von Vorteil und vielleicht auch gerechter. Man nehme das Beispiel Pop-Up Radwege. Diese sind schnell umsetzbar, erreichen viele Menschen und machen so potenzielle Veränderungen auch für Leute erlebbar, die weniger Zugang zu Beteiligungsprozessen haben. Und das häufige Deutsche „wir planen und bauen lieber gleich richtig“ bedeutet leider allzu oft Verzögerung um Jahre, die wir angesichts der Klimakrise nicht mehr haben, sowie wegbröckelnde Infrastrukturen.

Die Bergmannstraße ist nicht besonders lang, aber es soll weitergehen. Fahrradstraße hier, weiterer Radweg dort. Alle Straßen, auch solche, die nicht so breit sind wie in Berlin, haben die Möglichkeit, mehr Elemente von Grün, Sicherheit (getrennte Verkehre), Lebensqualität zu schaffen. Irgendwann, so stellt Weisbrich sich das vor, braucht es hier auch keine Schilder mehr – hier und da fährt ein Lieferwagen durch und alle winken freundlich, aber das dauert wohl noch ein, zwei Generationen, bis die PKW-Anzahl sich drastisch reduziert hat.

Oben am Denkmal auf dem Kreuzberg im historischen Viktoria-Park spannt Weisbrich den geschichtlichen Bogen zum Ursprung der zivilen Stadtadministration. Auch damals gab es große Herausforderungen, das große Wachstum der Städte, aber auch große verfügbare und gestaltbare Flächen. Heute stehen Klimagerechtigkeit und -resilienz stärker im Vordergrund. Große Herausforderungen bei begrenzter Fläche. Die Straßen sollten wir als großen Potenzialraum wahrnehmen. Sie sind, wie Weisbrich sagt, „die Grünflächen der Zukunft“.