In Politik und Wissenschaft werden vermehrt Diskussionen zu Energiesuffizienz geführt. Dabei sind uns starke Argumente begegnet. Die aus unserer Sicht gewichtigsten Gegenargumente – und unsere Antworten darauf – haben wir im Folgenden zusammengestellt.

Suffizienzpolitik bedeutet in der Praxis, Menschen durch Verbote dazu zu zwingen, auf bestimmte Formen des Konsums zu verzichten.

Gegenargument: Wie jede andere politische Maßnahme ermöglichen, erschweren oder verhindern suffizienzpolitische Maßnahmen gewisse Alltagspraktiken. Rahmenbedingungen, wie kulturelle Leitbilder, Infrastrukturen oder Gesetze regulieren bereits heute unser Handeln. Suffizienzpolitische Rahmenbedingungen können umweltfreundliches Verhalten ermöglichen und damit die Ausbeutung von Natur reduzieren und die Lebensqualität für viele Menschen sicherstellen. Selbst wenn Suffizienzpolitik teilweise Konsumfreiheit einschränkt, kann sie damit die Freiheit vieler Menschen erhöhen, da sie auf eine gerechtere Verteilung von Ressourcen abzielt.  

Es ist richtig, dass Suffizienzpolitik Rahmenbedingungen gestaltet, die das alltägliche Leben von Menschen unmittelbar beeinflussen können. Auch kann es sein, dass Menschen diese Rahmenbedingungen als negativ wahrnehmen oder sich in ihrer Konsumfreiheit eingeschränkt fühlen. 

Das alles ist aber nichts Neues. Schon heute führen wir unseren Alltag innerhalb von Rahmenbedingungen, die bestimmtes Verhalten beschränken und anderes ermöglichen und fördern. Denken wir beispielsweise an Verkehrsregeln, an Höflichkeitsnormen oder an die Schulpflicht. Auch Preise, die Frage wie wir Einkommen und Vermögen verteilen oder die Höhe von staatlichen Subventionen gestalten unsere Handlungsspielräume und Konsumfreiheiten mit. Darüber hinaus beeinflusst auch die gebaute Welt unseren Alltag, findet sich eine Bushaltestelle, ein Fahrradweg oder ein Parkplatz vor meiner Haustüre? Wie weit ist die Arbeitsstelle oder der nächste Lebensmittelladen? 

Unser Alltag wird immer durch kulturelle, institutionelle und infrastrukturelle Rahmenbedingungen beeinflusst und wir haben uns längst an viele Freiheitseinschränkungen gewöhnt, die mit Sicherheit, Gesundheit, Umweltschutz, Gerechtigkeitsvorstellungen oder vielen anderen Gründen begründet werden. Aufgrund ihrer Normalität nehmen wir viele von diesen Einschränkungen gar nicht mehr als solche wahr, durch die Normalität sind sie quasi unsichtbar geworden.

Suffizienzpolitik setzt genau an diesen Rahmenbedingungen an und gestaltet sie im Sinne der Klima- und Umweltgerechtigkeit um. Dabei gibt es viele suffizienzpolitische Maßnahmen, die die Lebensqualität für viele Menschen sogar steigern können. Eine autoarme Innenstadt ist sicherer, kann viele vorzeitige Todesfälle aufgrund von Unfallvermeidung und Schadstoffbelastungen vermeiden und die Aufenthaltsqualität durch eine Umnutzung des frei werdenden öffentlichen Raums steigern. Ein erleichterter Umzug in verdichtetes, gemeinschaftliches Wohnen kann, insbesondere für ältere Menschen, das Gefühl von Einsamkeit reduzieren. Wenn Freiheit nicht allein auf Konsumfreiheit reduziert wird, kann die Suffizienzpolitik für Viele sogar die Freiheit vergrößern.

Gegenwärtige sozial-ökologische Krisen lassen sich technisch lösen. Ein neues Smart-Home Passivhaus ist einfach cooler als eine kleine Etagenwohnung.

Gegenargument: Zur Bekämpfung der Klimakrise sind technische Lösungen wie der Ausbau der erneuerbaren Energien notwendig, reichen jedoch alleine nicht aus. Es ist unabdingbar, den Energieverbrauch sowohl durch Effizienz- als auch durch Suffizienzstrategien zu reduzieren. Gelingt dies nicht, muss der Zubau an EE-Anlagen extrem hoch sein oder wir begeben uns in (neue) Abhängigkeitsverhältnisse beim Import von Energie. Weitet man den Blick über die Klimakrise hinaus, wird die Bedeutung von Suffizienz noch klarer: Mit einem “Weiter-so” beim Verbrauch von Ressourcen, Land, Wasser etc. überschreiten wir planetare Obergrenzen, während wir gleichzeitig die Erreichung globaler sozialer Mindeststandards gefährden. Es geht also nicht darum, welche Option attraktiver ist. Es geht darum, mit welcher Kombination von Optionen wir die diversen Ziele am sichersten erreichen.

Zur Bekämpfung der Klimakrise sind technische Lösungen, sowohl auf der Erzeugungs- wie auf der Nachfrageseite, immens wichtig: Wir brauchen einen starken Ausbau der erneuerbaren Energien, um unseren Energiebedarf (Strom und Wärme) regenerativ zu decken. Zudem müssen unsere Geräte energieeffizient sein und Materialien sollten aus biologischen Ressourcen hergestellt oder im Kreislauf geführt werden. Die Strategien nennt man Effizienz und Konsistenz.

Jedoch kommen diese technischen Lösungen an ihre Grenzen, wenn wir unseren Energiebedarf nicht gleichzeitig senken. Die Konsistenz-Strategie führt zur folgenden Situation: Wenn wir in den Bereichen Mobilität, Heizen und in der Industrie auf Strom umstellen (z.B. durch E-Autos und Wärmepumpen), der erneuerbar sein soll, brauchen wir 2050 die etwa siebenfache Anlagenkapazität an Wind- und Solaranlagen von heute, wenn wir unseren Energiebedarf nicht drastisch senken (Wiese, Thema und Cordroch 2022, Zahlen für Deutschland). Dieser Anlagenzubau im Inland oder alternativ der Import des nötigen Stroms bzw. anderer Energieträger (z. B. Wasserstoff oder andere synthetische) aus dem Ausland bringt große Herausforderungen mit sich, da er sehr ressourcenintensiv ist und wir uns damit von wenigen Ländern abhängig machen (DERA 2021). 

Unser Ressourcenbedarf tangiert sehr viele Nachhaltigkeitsaspekte. Zum einen beuten wir die Ressourcen der Erde in hohem Tempo und Umfang aus. Auch bei Ressourcen, die nicht erneuerbar und daher endlich sind (z.B. seltene Erden). Für den Abbau von Rohstoffen wird Energie benötigt, oft auch Wasser und es werden Chemikalien eingesetzt. Dies führt nicht nur zu fatalen Umwelt- sondern auch sozialen Problemen. In den Abbauregionen kommt es oft zu Gesundheitsproblemen, teils zu Menschenrechtsverletzungen und wirtschaftliche Abhängigkeiten sind ein großes Problem (Wiese et al., forthcoming). 

Zudem hat der Rohstoffabbau Einfluss auf die Biodiversität und führt zu Landnutzungsänderungen. Beides sind – wie der Klimawandel – planetare Grenzen, die wir bereits überschritten haben. So könnte die Fokussierung auf die Klimakrise und die Energiewende stark zur weiteren Überschreitung anderer planetarer Grenzen beitragen.

Die Suffizienz-Strategie, die die planetaren Grenzen per Definition einbezieht, versucht zunächst den Energieverbrauch zu reduzieren, so dass auch der Bedarf an Ressourcen reduziert wird und mehrere gesellschaftliche Ziele parallel erreicht werden können. Damit wird der Druck von anderen (technischen) Optionen genommen, ihr Potenzial bis zum maximal möglichen ausschöpfen zu müssen, was riskant, teuer und ineffizient sein kann (Wiese et al., forthcoming).

Im Gegensatz zu den technischen Lösungen fragt die Suffizienz-Strategie nach dem “Genug”: Wie viel Energie benötigen wir zur Erfüllung unserer Bedürfnisse? Wie sehr tragen weiter steigende Level an Energiedienstleistungen (z.B. zurückgelegte km im Jahr) zu unserem Wohlbefinden bei? Dies scheint in Anbetracht der Tatsache, dass technische Lösungen schon viele Jahre und Jahrzehnte existieren sowie immer verbreiteter und billiger werden, die Emissionen jedoch weiter ansteigen, eine zentrale Frage zu sein, die auch der IPCC aufwirft (IPCC 2022). Die Effizienz-Strategie führt zur folgenden Situation: Die Kühlschränke werden zwar immer effizienter, gleichzeitig jedoch auch immer größer und mit mehr und mehr Sensoren, Bildschirmen etc. ausgestattet, so dass die Strategie ihren Zweck nicht erfüllt (sog. Rebound-Effekt). 

Ein Pfad, der Suffizienz zusätzlich zu den technischen Lösungen einbezieht, ist zielgerichtet auf die multiplen Ziele unserer Gesellschaft (1,5 Grad, planetare Grenzen, SDGs …), da er sie explizit mitdenkt, versucht negative Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschheit zu vermeiden, macht uns unabhängiger von Importen und technologischen Entwicklungen für z.B. CO2-Abscheidungsanlagen, die es heute noch gar nicht bzw. nur in geringem Umfang gibt und bringt den Aspekt des Wohlbefindens mit ins Spiel.

Und zum Schluss noch an alle Technik-Fans: Auch Suffizienz braucht Technik und Innovation! Zum Beispiel vernetzte Verkehrsmittel oder flexibel gebaute Häuser. Und man muss auch mal festhalten: Ein Fahrradständer ist einfach eine sehr gute Erfindung, an der man nicht mehr viel optimieren muss, damit sie ihren schon heute Zweck erfüllt.

Wenn Suffizienz einen grundlegenden Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in  vielen Bereichen bedeutet, brauchen wir für sie mehr Zeit als uns bleibt, um uns zu retten. Wir haben keine Zeit für einen grundlegenden Wandel.

Gegenargument: Die Klimakrise ist gegenwärtig und führt zu einem tiefgreifenden und existenzbedrohenden Umbruch. Um Klimaziele zu erreichen, sind ein grundlegender und langfristig gestalteter Wandel und damit verbundene Investitionen so oder so notwendig. Eine suffizienzorientierte Transformation senkt den Druck auf technische Lösungen, reduziert gleichzeitig den Ressourcenverbrauch und rückt damit das Einhalten von Klimazielen und ein gutes Leben für alle überhaupt erst in den Möglichkeitsraum. Kurz: Auch ohne Suffizienz ist ein grundlegender Wandel absehbar, dann aber durch Katastrophen und nicht durch aktives Gestalten. 

Die Begrenzung des Temperaturanstieges ist ein langfristiges Projekt und schnell umgesetzt ist es mit technischen Maßnahmen nicht. So braucht  es einen massiven Ausbau erneuerbarer Energien und damit verbunden ein angepasstes Stromnetz, der Gebäudebestand muss saniert, die Verkehrsinfrastruktur umgebaut, Vehikel umgestellt und die Landwirtschaft umgebaut werden. Diese technische Transformation benötigt ebenfalls viel Zeit, Ressourcen und einen grundlegenden Wandel und ist dennoch eine Strategie, an der festgehalten wird. Es geht daher nicht um die Frage, ob es einen grundlegenden Wandel braucht, sondern welchen. 

Eine Suffizienzstrategie ersetzt dabei nicht technische Maßnahmen, sondern unterstützt deren Erfolg hinsichtlich der Erreichbarkeit von Klimazielen. Denn ist die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens bzw. die Begrenzung des Temperaturanstieges auf deutlich unter 2°C extrem herausfordernd und ohne deutliche Energiebedarfsreduktion nicht möglich. Für die erneuerbare Energieversorgung werden zum Beispiel Sektoren elektrifiziert (Wärmebedarf wird z.B. über Wärmepumpen bereitgestellt und der Verkehr auf Elektromobilität umgestellt), damit diese – statt mit begrenzt zur Verfügung stehender Biomasse – durch Windkraft- und PV-Anlagen versorgt werden. Die Elektrifizierung hat jedoch einen deutlich höheren Strombedarf zur Folge. Die Ausbaupotenziale von Wind und PV sind zwar wesentlich höher als Biomasse, sind jedoch auch begrenzt. Viele Klimaschutzszenarien für Deutschland gehen daher von sehr hohen Importen aus, welche jedoch nicht gesichert sind und sozial ökologische Kosten zur Folge haben können. Durch Suffizienz als rahmende Strategie kann der Energiebedarf signifikant reduziert werden und Effizienzgewinne können sich entfalten, statt durch wachsende Aktivitäten und Reboundeffekte aufgezehrt zu werden. Dadurch braucht es zum einen insgesamt weniger erneuerbare Energien, wodurch eine zeitnahe erneuerbare Versorgung realistischer wird. Zudem kann in der Transformationsphase durch die Reduktion des Energiebedarfs fossile Energie schneller ausscheiden. Es geht somit nicht um ein Ausspielen unterschiedlicher Strategien, sondern um ein Zusammenspielen, um die Einhaltung von Klimazielen mit Hilfe eines grundlegenden Wandels auf unterschiedlichen Ebenen in den Möglichkeitsraum zu rücken. 

Suffizienzstrategien ermöglichen darüber hinaus einen Ressourcenarmen und -schonenden Wandel. Die Reduktion des Ressourcenverbrauches ist wichtig, da der gegenwärtige Ressourcenverbrauch nicht nachhaltig ist und dabei wichtige Naturräume zerstört, den Biodiversitätsverlust vorantreibt und Menschen die Lebensgrundlagen nimmt. Zudem müssen die Ressourcen nicht nur für die Transformation in Deutschland und den globalen Norden reichen, sondern für eine Transformation auf der ganzen Welt. Mit Suffizienz als rahmende Strategie kann der Ressourcenbedarf auf ein nachhaltiges Maß reduziert werden und gleichzeitig ein gutes Leben für alle ermöglicht werden. So ist es offensichtlich, dass eine suffiziente Mobilität, welche auf den Umweltverbund setzt (Fahrrad, ÖPNV und Fußwege) offensichtlich weniger Ressourcen benötigt als die Auto-basierte Elektromobilität und für alle Menschen Mobilität ermöglicht. Somit dient der tiefgreifende suffiziente Wandel nicht nur dem Klimaschutz, sondern auch dem Ressourcenschutz bzw. der Einhaltung von planetaren Grenzen. 

Ein weiteres Kernelement der Suffizienz ist die soziale Dimension. Ein suffizienz-orientierter Wandel ermöglicht nicht nur den Weg hin zur Klimaneutralität innerhalb planetarer Grenzen (was bereits eine Menge ist), sondern formt auch einen sozial gerechten Pfad dahin und darüber hinaus.  Suffizienz nimmt dabei das “Genug” in den Blick und bezweckt, ein gutes Leben für alle zu schaffen. So wird mit Suffizienz im Mobilitätssektor beispielsweise versucht, eine sichere, einfache, schnelle, bezahlbare Mobilität für alle zu ermöglichen, welche gleichzeitig den Energie- und Ressourcenbedarf reduziert. Gegenwärtig bietet der Mobilitätssektor dies aber nicht – für alle. So können auf der einen Seite viele Menschen nicht mit dem Auto fahren, da sie es sich nicht leisten können oder nicht fahrtüchtig sind (z.B. aufgrund des Alters und Einschränkungen). Auf der anderen Seite sind viele Menschen den Belastungen des Autoverkehrs ausgesetzt (Lärm, Feinstaub, Kinder können nicht auf den Straßen spielen, das Fahrradfahren ist gefährlich) – das betrifft oft jene die es sich nicht leisten können in verkehrsberuhigten Gegenden oder im EFH zu leben. Eine suffiziente Mobilität, welche auf einen guten und bezahlbaren Umweltverbund (ÖPNV, Rad, Fußwege) setzt, hat das Potential, allen Menschen eine sichere, einfache, schnelle und bezahlbare Mobilität mit geringem Energieverbrauch zu ermöglichen. Ebenfalls kann ein Suffizienz orientierter Wandel ein gutes Leben in den anderen Sektoren ermöglichen, so wie etwa bezahlbares, bedürfnisorientiertes und flächen effizientes Wohnen. Der Suffizienz-orientierte Wandel braucht zwar auch Zeit, setzt aber die Ressourcen (auch Kosten) für wichtige Pfeiler ein, die ein gerechtes, nachhaltiges, ökologisches, soziales – oder einfach ein gutes – Leben für alle ermöglichen. 

Weiter braucht ein grundlegender suffizienz-orientierter Wandel zwar Zeit, aber kann auch zügig Wirkung entfalten, was beispielsweise das 9-Euro-Ticket, Pop-up-Bike Lanes, suffizienz-orientierte Wohnprojekte, Vegane und Vegetarische Ernährung, Autofreie-Innenstädte/Quartiere und Energiesparmaßnahmen (bezüglich der Energiekrise) gezeigt haben.  Wichtig ist aber, dass nicht nur auf kurzfristige Maßnahmen gesetzt wird. Nur ein grundlegender Wandel kann (Infra-)Strukturen schaffen für ein suffizientes Leben ohne Verzicht – für ein gutes Leben für alle – im Globalen Süden und Norden, für gegenwärtige und zukünftige Generationen, für alle Menschen unabhängig von race, Klasse und Geschlecht.  

Suffizienz führt zum Kollaps von Wirtschafts- und Sozialsystemen.  Effektive Suffizienzpolitik führt dazu, dass viele Menschen ihre Arbeit verlieren und das ganze Wirtschaftssystem zusammenbricht.

Gegenargument: Wichtige Systeme unserer Gesellschaft sind vom Wachstum abhängig. Verschiedene Krisen, inklusive der dramatischen Folgen der Klimakrise, bedrohen das wirtschaftliche Wachstum und damit den Arbeitsmarkt, Wirtschafts- und Finanzsystem sowie Staatsfinanzen und Sozialsysteme. Es ist daher höchste Zeit, die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft zu erhöhen, indem diese Teilsysteme von Wachstum unabhängig werden. Suffizienzpolitik kann auch zu reduziertem Wirtschaftswachstum führen, ist aber nicht gleichbedeutend mit Mangel und Verlust. Denn Suffizienzpolitik ist dabei Teil einer vorsorgenden Politik, die sich den Herausforderungen heutiger und kommender Krisen stellt und proaktive Antworten auf diese sucht. 

Für die Gesellschaft ist es von zentralem Interesse, dass keine Entwicklung eintritt, die zum Niedergang von Wirtschaft, Verlust von sicherem Einkommen und Zusammenbruch der Sozialsysteme führt.

Alle gesellschaftlichen Subsysteme sind aber bereits jetzt großen Risiken ausgesetzt. Vieles deutet  darauf hin, dass sich große Teile der heutigen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialsysteme nach dem bestehenden Modell ohne Anpassung nicht langfristig erhalten lassen. Sie sind strukturell abhängig von weiterem Wachstum der Wirtschaft und wenig widerstandsfähig gegenüber Krisen oder gar Schrumpfungen.

Gleichzeitig verschärfen sich die Krisen des Erdklimas, der Ökosysteme, der Ressourcenausbeutung sowie deren Verbindung mit globalen sozialen Folgen sowie die unsichere geopolitische Lage. Demographischer Wandel und erwartbare (Klima-)Fluchtbewegungen setzen das bisherige Wohlstandsmodell des globalen Nordens zusätzlich unter Druck. Die planetaren Grenzen und sich verschärfenden Krisen deuten darauf hin, dass zumindest materielles Wachstum begrenzt ist und mittel- bis langfristig eine Schrumpfung der materiellen Produktion stattfinden muss. Suffizienz als Strategie, die materielle Verbräuche von Konsum, Wärme, Verkehr reduziert, scheint hierfür passend und richtigerweise einer Strategie der Steigerung der Produktion eher abträglich. Unsicher ist jedoch, ob dies in monetär gemessenen Wirtschaftsleistungen zwingend zu einer Schrumpfung führt oder (bspw. Dienstleistungs-getriebenes) Wachstum oder eine Stabilisierung möglich ist. 

Eine vorsorgende Politik ist informiert durch den Stand der Wissenschaft bzgl. der Krisen und ihrer Auswirkungen und nutzt den verfügbaren Handlungsspielraum. Zu diesem Handlungsspielraum gehören die planetaren Grenzen wie z. B. klare Grenzen des noch möglichen Ausstoßes von Klimagasen, der Nutzung verschiedener Ressourcen und Fragen der globalen Gerechtigkeit bei deren Verteilung. Auch ohne Suffizienz müssen die Wirtschafts- und Sozialsysteme widerstandsfähig gegen Krisen, ökonomische Schocks und womöglicher wirtschaftlicher Schrumpfung gemacht werden.

Suffizienz ist, anders als die Strategien Effizienz und Konsistenz (Erneuerbare, Kreislaufführung), besonders geeignet, Gesellschaften und Wirtschaftssysteme zur Einhaltung planetarer Grenzen zu bringen. Ob aktive Suffizienzpolitik aber zu wirtschaftlich bzw. monetär gemessener Schrumpfung führt oder nicht, ist unklar. Sie muss sich in eine politische Gesamtstrategie für Resilienz gegenüber den multiplen Krisen einfügen und versucht, eine vorsorgende Antwort auf diese zu geben.

Suffizienz ist als Instrument politisch unbrauchbar und wird deshalb immer eine Nischenoption und individuelle Entscheidung bleiben.

Gegenargument: Es stimmt: Energiesuffizienz kann für politische Entscheidungsträger*innen ein schwieriges Thema sein. Das liegt an dem Missverständnis, dass Suffizienzpolitik zu stark in die Privatsphäre der Menschen eingreifen würde. Wie wir uns verhalten, wird aber sowieso stark von politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beeinflusst. Suffizienzpolitik bedeutet, diese Rahmenbedingungen so zu ändern, dass die umweltfreundlichere und energiesparende Verhaltensweise die attraktive ist. Suffizienzpolitik als politisches Instrument ist aktueller und brauchbarer denn je.

In der Wissenschaft wächst die Einigkeit darüber, dass Verbrauchssenkung eine zentrale Strategie für die Erreichung der Klimaschutzziele und die Einhaltung planetarer Grenzen ist (IPCC 2022, Cordroch, Hilpert und Wiese 2022). Jedoch ist der Versuch, entsprechende Handlungsmuster bei der Bevölkerung hervorzurufen, aufgrund von Gewohnheiten und (Infra-) Strukturen enorm schwierig. 

Darüber hinaus treten Vermittlungsprobleme auf, denn der Begriff Suffizienz ist vielen Menschen neu und unbekannt. Auch inhaltlich, als politische Strategie, gibt es mit Energiesuffizienz noch nicht viele Erfahrungswerte. Erst in der jüngsten Zeit werden Energie-Modelle und -Szenarien entwickelt, die Suffizienz beinhalten, und auf die sich Entscheidungsträger(-innen) stützen können. Eine umfassende Systematisierung, Operationalisierung und Quantifizierung von Suffizienz als energiepolitische Strategie fehlt bisher. 

Manche Menschen nehmen an, dass sich Verhaltensmuster wie von allein verbessern würden, wenn nur ausreichende Informationen zur Verfügung gestellt würden. Diese Idee basiert auf einem veralteten Verhaltensmodell, wonach Menschen durch Abwägungsprozesse rationale Entscheidungen fällen Spangenberg und Lorek 2019. Übersehen wird in diesem Modell die Macht von Routinen, Kultur, Infrastrukturen und technischen Scheinlösungen. Suffizienzpolitik besteht aus einem Instrumentenmix, der auf diesen vielfältigen Ebenen ansetzt und damit deutlich über die reine Informationsvermittlung/Kampagnen hinausgeht. 

Energiesparkampagnen sind nicht verkehrt, aber neben diesen werden finanzielle Anreize, Investitionen, regulative Maßnahmen, ehrgeizige Reduktionsziele in einzelnen Sektoren sowie für die gesamte Volkswirtschaft benötigt. Suffizienz ist keine reine Konsum-Strategie, sondern setzt an den Rahmenbedingungen für zukunftsfähige Verhaltensweisen an. Ohne solche Rahmenbedingungen bleibt Suffizienz nichts als bloße Theorie. Denn solange Nachtzugfahrten komplizierter und teurer als Flugreisen sind, führt z. B. Umweltbildung dazu, dass die Menschen trotzdem mit schlechtem Gewissen in den Flieger setzen. Das Ziel muss aber sein, weniger zu fliegen (bzw. inländisch gar nicht mehr).

In der jüngsten Vergangenheit mehren sich plakative Beispiele für die politische Umsetzung der Suffizienzstrategie. Zahlreiche Bürgerräte schlagen Instrumente vor, z. B. eine Verlängerung von Garantiezeiten für Elektrogeräte auf 10 Jahre (Deutschland) oder eine maximale Heiztemperatur von 19°C und keine Klimatisierung auf unter 30°C (Frankreich). In Deutschland wurde das Ziel formuliert, den Endenergieverbrauch in 10 Jahren um rund 20-25% zu senken (Link). Politikinstrumente für Energiesuffizienz können dafür genutzt werden, dieses Ziel zu erreichen. Solche Instrumente sind dabei nicht nur im Angesicht der aktuellen geopolitischen (Energie-) Krise richtig, sondern auch mittel- und langfristig ein Gewinn.